GEDANKEN ZUR BEDÜRFTIGKEIT

 

 

 

HORTENSE von GELMINI

 

 

 

 Im Blick auf eigene Betroffenheiten will der Mensch „Gedanken zur Bedürftigkeit“ am  liebsten so weit und solange wie möglich  fernhalten. Bedürftigkeit ist jedoch untrennbar tief in unserer ganzen Daseinswirklichkeit verwurzelt. Sie durchdringt Natur und Kreatur und erzählt auf je eigene Weise die Geschichte der Seins-Kräfte und deren einwohnendes Seufzen nach unvergänglicher Vollendung. Ohne Bedürftigkeit gäbe es weder ein Voneinander-, noch ein Miteinander-, geschweige denn ein Füreinander als Leben bezeugende Seins-Kräfte sterblicher, nach Freiheit drängender  Kreatur.

 

 

 

Sehnend schauen wir den Vögeln des Himmels nach, wähnen sie an eigenen Flügeln hängend frei (vogelfrei).  Freiheit als kreatürliche Macht der Selbst-Überlassenheit bewirkt (evoziert) In-Besitznahme durch Unterwerfung als natürliche „Macht der Ohnmacht“ scheitern-den Entbindens von Bindungen. Welch göttliche Macht der Ohnmacht Besitz nehmender Unterwerfung lässt uns Menschen am „Ent-Binden“ scheitern?

 

 

 

Vergänglicher Daseins-Wirklichkeit wohnt die Macht der Ohnmacht sterblicher Kreatur ein, deren Lebens-Gebundenheit auf Ergänzungs-Bedürftigkeit ausgerichtet ist. Die in ihren jeweiligen Betroffen-heiten der Seinsergriffenheit sich selbst unterworfenen Gewahrwer-dungen ringen mit einer unbegrenzt divergierenden, konkurrieren-den, antizipierenden, konkludierenden Fülle von Lebenskräften und deren Existenz-Bedürftigkeiten.

 

 

 

Dem durch Sterblichkeit „Erkenntnis-Verblendeten“, von vergäng-lichen Daseinskräften geblendeten Mensch sind die Augen für die Bedürfnislosigkeit Gottes verschlossen. Der – von sich selbst, durch sich selbst, vor sich selbst – bloßgestellte Mensch,  sucht sich daher in seiner Ergänzungsbedürftigkeit selbst zu vergotten. Bedürftigkeit treibt dabei sein menschliches Erkenntnis-Streben nach vollkom-mener Beherrschung jeglicher Vergänglichkeits- bedrängter Natur, mit dem Ziel, die im diesseitigen Sehnen der Seele eingefaltete Unsterblichkeit den Kräften selbstbestimmter Verfügbarkeit zu unterwerfen.

 

 

 

Doch sich vom Boden diesseitiger Bedürftigkeiten zu Gott auf-schauend zu erheben, um menschliche Überlebens-Hoffnungen allein IHM anzuvertrauen, – der von uns das Glaubens-Wagnis „vollkommenen“ Vertrauens einfordert – kommt der irdischen Verbundenheit unserer sterblichen Natur wie eine lebensbedroh-liche Selbst-Entwurzelung vor. Aus Vergänglichkeits-Nöten her-vorgerufene Daseins-Ängste lassen Gedanken möglicher Selbstver-nichtung durch Selbstbestimmung aufkommen, um sich willent-lich bewusst oder unbewusst der ergänzungsbedürftigen Antwort  sterblicher Verfasstheit zu entziehen.

 

 

 

Nicht nur die vermeintlich naheliegenden menschlichen Erwart-barkeiten, sondern auch die natürlichen Annäherungskräfte an Vertrautes und  Vertraute schwinden unter dem Daseins-Diktat der Vergänglichkeit ausgelieferter Bedürftigkeiten zusehends. Vor al-lem weil die – in den tiefsten Tiefen der Seele von Gottes Odem durchwalteten – Liebes-Rufe der Bedürftigkeit im Dasein  echolos zu verhallen scheinen. Das Harren auf jene Barmherzigkeit, welche von Sanftmut erfüllt unsere Sterbens-Nöte heilvoll erhört, bedarf tatsächlich jener Gnade liebender Entäußerung, welche in Gottes Strömen lebendigen Wassers zu ertrinken vermag.

 

 

 

... Jesus rief: “Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus seinem Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen". (Johannes  7,37.38), und: "Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt auf euch mein Joch, und lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht“. (Matthäus 11,28)

 

 

 

Die unserer sterblichen Natur unterworfenen Erkenntniskräfte, sind in ihrer Vergänglichkeit fortwährend (ergänzungs-) bedürftig und entfalten einen Erkenntnis-Reichtum, welcher segensreich –um Früchte der Weisheit zu tragen – zu wachsen beginnt, wenn man die Lebenszugänge zur eigenen Erkenntnis-Bedürftigkeit niemals vor Gott verschließt – weder aus Eitelkeit, Neid, Hoch-mut, Herrschsucht, Verzweiflung, Scham, Stolz noch aus anderen  Daseinsnöten.

 

 

 

Jegliche Not, jegliche Art Schmerz, jegliche Pein und Sterbens-Ge-plagtheit birgt – in ihrem „vergänglichkeits-ausgelieferten Da-Seins-Kampf“ – urgewaltige Lebenskräfte in sich. In der Hoffnung auf Linderung notvoller Bedürftigkeit sucht der Mensch in seiner Existenz-Bedrohtheit, über die demütigende Sterbens-Entblößung erkannter Schambetroffenheit hinaus, zunächst menschliches Mit-Erbarmen. Da dieses jedoch die Sterblichkeit und den Tod nicht verhindern kann, schreit die „Leben verblutende“, dem Tode ausgelieferte Kreatur – bewusst oder unbewusst immer über das irdische Dasein hinaus – zu ihrem allmächtigen Erbarmer, dem jegliche Seiendheit durchwaltenden, allumfassend in der Wahrheit ruhenden, ewig vollkommen liebenden GOTT.

 

 

 

Lebens-Schreie sollen unsere verängstigten (oftmals von sich selbst trunkenen) Gefühls-Schwächen ans Licht heilvoller, ewiger Wahr-heit heben, um durch "Bedürftigkeits-Annahme" nicht nur Erkenntnisstärke und vollkommene Tröstung, sondern vor allem ewiges Leben zu erlangen. Es ist von größter Bedeutsamkeit, dass wir erkennen, dass sich Annahme wesentlich von Hinnahme unterscheidet.

 

 

 

Beide Begriffe bedürfen klarer Zuordnungen, um nicht lebensfeind-liche Irrtümer herauf zu beschwören, denn zwischen Hinneh-men  und  Annehmen  walten  Abgründe von Lebenskräften, deren

 

Wirkmacht menschliche Gemeinschaft aufzubauen oder zu ver-werfen vermögen.

 

 

 

Die dem Wort „Nehmen“ vorangestellten Silben (hin und an) eröffnen ganz unterschiedliche Perspektiven im Blick auf unsere Verhaltens-Möglichkeiten. Das oft mit Gefühlen von Opfer und Demut ausgeschmückte Wort „Hinnehmen“ intendiert allzu leicht Gedanken über unbeeinflussbare Ausgeliefertheit und Entschei-dungs-Unfreiheit, so dass das Wort „Nehmen“ als Unschulds-handlung dargestellt wird. Man will sich nicht verantwortbar, sondern – einer „Göttern ähnlichen“ Schicksalsmacht ausgeliefert – schuldlos unterworfen wissen.

 

 

 

Der Gedanke der Unschuldshandlung taucht bereits in der Paradiesesgeschichte auf, in welcher der – zur willentlichen Freiheit – berufene Mensch sich durch Gehorsam gegenüber Gott die Erde Untertan machen soll. Doch begibt sich das erste Menschenpaar aus Begierde zum Ungehorsam in die willentlich frei gewählte Selbst-Abhängigkeit, in deren Folge unmittelbar die anvertraute Freiheit in sich kollabiert. Fortan verängstigt, befindet sich der Mensch in einer freiheits-bedürftigen Lebens-Existenznot, aus welcher er durch Schuldzuweisung einen Weg der Recht-fertigung sucht, welchen er alleine jedoch niemals finden wird. Letztlich sehnt sich der Mensch nach jener Anfangs-Unschuld  vollkommener Liebes-Umborgenheit, welche ihm in göttlicher Freiheit für immer anvertraut wurde. Der Freiheits-Missbrauch gegen den Willen Gottes, von dem die Paradieses-Geschichte (im Buche Genesis) erzählt, ist die Ur-Geburtsstunde menschlicher Bedürftigkeit, welche die Fülle des Seins als Schöpfungs-Geschich-te  inbegreift.

 

 

 

Im Gegensatz zum Hinnehmen bedarf es beim Annehmen eines Aktes höchster Bewusstheit  von Entscheidungsfreiheit, durch wel-chen zumindest  Mit-Verantwortung grundgelegt ist, jedoch noch keine willentlich-freiheitliche Übernahme von Verantwortung ge-geben  ist. Im Bewusstsein der Ergänzungsbedürftigkeit und der willentlich notwendigen Zustimmung freien Annehmens bewegt sich der Mensch fortwährend auf der Spuren-Suche nach mit-menschlicher Lebens-Gemeinschaft durch Ergänzungsfähigkeit.

 

 

 

Verschuldete sowie mitverschuldete Verständigungsblockaden be-dingen den Anfang vom Untergang jeglicher Beziehungsfähigkeit. Deshalb müssen wir uns fortwährend – im Sinne des Annehmens – um ergänzungsfähige Erkenntnisse bemühen, denn aus ihnen ent-wickeln sich menschlich lebensfähige  Gemeinschaftsbildungen.

 

 

 

Wenn allerdings die Türen zur Verständigungsannäherung, zur Ergänzungsbereitschaft – durch Herzens-Verhärtung oder Geistes-blindheit, Vernichtungswillen oder Zerstörungsbesessenheit und jegliche Art von radikaler Unversöhnlichkeit – verschlossen sind, dann muss der Mensch seine Lebenskräfte fluchtartig vor Unheil verursachenden, unverständigen Mitmenschen zu schützen ver-suchen, denn es ist nicht Gottes Wille, dass Menschen einander durch Verständnislosigkeit zugrunde richten.

 

 

 

Die in jedem Menschengeschöpf einwohnende, von Gott beodete – gnadenvoll von ewiger Freiheit umwaltete – Geist-Seele bleibt jedoch (auch nach mörderischen Vergewaltigungen und bösartigen Übergriffen jeglicher Art) unbezwingbar bis zum letzten diesseiti-gen Atemzug offen, denn durch die Geist-Seele atmet das Myste-rium ewiger Liebe Gottes, woran wir uns gegenseitig aus- und aufrichten können, um den ewigen Liebesruf Gottes: „ Adam wo bist Du“, auf den wir antworten dürfen: "hier bin ich", froh und dankbar anzunehmen, weil wir uns "DEO GRATIAS" als ewig Geliebte erkannt wissen.