WARUM BETEN?
PHÄNOMENOLOGISCHE GEDANKEN ÜBER DIE NOTWENDIGKEIT
CHRISTLICHEN BETENS
HORTENSE von GELMINI
Bevor ich mich auf die nähere Bedeutung, den Sinn des Betens einlasse, möchte ich unsere Augen auf ein wesentliches Grund-Phänomen menschlicher Seinsbedingung richten. Meine Gedanken kreisen zunächst um die Frage, in welcher Seinsergriffenheit steht der Mensch? Ist er ein in sich selbst eingehülltes Wesen, welches sich in einem unergründlichen Drängen, einem unstillbaren Sehnen zu ergründen, zu enträtseln erhofft?
Fest steht, daß der Mensch sich der Seinswirklichkeiten in besonderer Weise durch ihre Ereignishaftigkeiten bewußt wird. Durch Ereignishaftigkeiten eröffnen sich dem Menschen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Sie geben den Blick auf ein Phänomen des Lebendigen frei, sowohl des Lebendigen der Materie als auch des Lebendigen des Geistes. Die Ereignishaftigkeit spielt bei der Erfahrung jeglicher Seinsbewältigung eine zentrale Rolle. Ursächlich wird die Ereignishaftigkeit durch den entscheidenden Impuls des Lebendigen der Seinswirklichkeit bewirkt und mobilisiert darin unmittelbar die vielseitigen, äußerst feinsinnigen Wahrnehmungs-Kräfte des Menschen. In Ereignissen wird die jeweilige Natur der Dinge bewegt. Ereignisse lassen sich nicht ungeschehen machen. Sie eröffnen dem Menschen einen Blick auf die Komplexität der Wirklichkeit des Seins. Von Ereignissen läßt sich sagen, daß sie nie vollständig vergehen, sondern stets auf irgendeine Weise in die Zukunft wirken, daß sie in ihrer unaufhaltsamen Folgenhaftigkeit die Geschichte des Seins, die Geschichte des Mensch-Seins auffalten. Im Hinblick auf das Nicht-ungeschehen-machen-können von Ereignissen wird sich der Mensch der Dramatik des Geschichtlichen bewußt. Von Ereignissen ausgelöstt, von Ereignissen eingeholt erfährt sich der Mensch in einer beängstigenden Ausgeliefertheit: ausgeliefert an die Kräfte der Natur, ausgeliefert an die Begrenztheit der eigenen Erkenntnismöglichkeiten, ausgeliefert einer zusammengehörenden, uneinholbaren, auf Vollendung drängenden Fülle des Ganzen der Seinswirklichkeit. In diesem Sinne erfährt sich der Mensch selbst in einer globalen Seinsergriffenheit. In dieser globalen Seinsergriffenheit muß der Mensch sich bewähren. Um am Leben zu bleiben, muß er sich in ihr zu orientieren lernen. Da sich im Ereignishaften das „Ist“ des lebendigen Seins zeigt, ist der Mensch gezwungen, in ihm die Antworten nach dem Grund, Sinn und Ziel seines Da-seins zu suchen.
Wenn wir die Bewegungen der Natur beobachten, so ist es nicht das Vergängliche, was die Ereignisse zunichte zu machen scheint, sondern der unausweichliche jähe Abriß des Lebens durch den Tod als unüberschreitbare Grenze. Hier scheint sich das Ereignishafte mit der Existenz des Menschen in seine letzte Intensität aufzuheben. Ist der Tod als Ereignis die Preisgabe des Lebendigen an ein Nichts, an eine Leere des Seins? Ist das Ereignis des Todes das große Scheitern jeglicher Existenz? Widerspricht der Tod nicht unserer Erfahrung des unaufhaltsam Lebendigen allen Seins? Hier gelangt der Mensch in seiner Seinsergriffenheit an die Dimension des Mysteriums, an das aus eigener Erfahrung unergründbare, aus eigener Erkenntnis-Kraft nicht mehr durchschreitbare, nicht mehr rückfragbare Geheimnis des Seins. Im Laufe der Geschichte hat sich der Mensch dieser Übermächtigkeit, dieser Ohnmacht angesichts des Todes-Ereignisses unzählige gedankliche Lösungen entworfen. Denken wir z.B. nur an die Reinkarnationstheorien, an die fatalistischen Nihilismustheorien, an die Vielzahl philosophischer Wahrheits-Erkenntnisbemühungen, an das ganze geistes- und ideengeschichtliche Spektrum des Religiösen, den Glauben an Natur-Götter und Mythen. Stets rang und ringt der Mensch um die allumfassende Antwort nach dem Ganzen des Seins-Sinnes, welches nicht nur im Hinblick auf das Ereignis des Todes als ein großes Mysterium verhüllt zu sein scheint, als ein „Geheimnis, das seit Ewigkeiten verborgen ist in Gott“ (Eph 3,9).
Mitten in der Geschichte der Anfragen an das Mysterium des allumfassenden Seins-Grundes hat sich durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes etwas ereignet, was die Welt- und Menschheits-Geschichte grundlegend auf eine andere Ebene der Erkenntnis gehoben hat. Das Christusereignis in der Fülle der Zeit hat Absolutheitsanspruch, denn „Gott wollte mit der Fülle der Zeit in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen…alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen“ (Kol 1,20). Immer wieder trat Gott aus seiner Verhülltheit hervor, um sich in der Menschheits-Geschichte zu erkennen zu geben. „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen, in der Endzeit hat er zu uns gesprochen durch seinen Sohn…“ (Hebr. 1,1-2). Er offenbarte sich nicht mehr nur durch mittlerische Propheten, sondern vor allem im Wort, im Willen und in den Taten Jesu, welcher der eigentliche Offenbarer Gottes ist. Christus ist nicht nur der Offenbarende, sondern der Geoffenbarte. Alles, was sich vorher ereignet hat und was sich in Zukunft ereignen wird, wird durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes, in Jesus Christus, einer neuen endgültigen Dimension zugeführt. Gott selbst hat sich in Jesus Christus als Wahrheit in der Fülle des Seins und als Vollendung in der Fülle der Wahrheit dem gläubigen Menschen zu erkennen gegeben. Durch das Christusereignis weitet sich der Blick für die göttliche Inspiriertheit der Worte des Alten und Neuen Testaments. Erst durch das Erlösungswerk Jesu Christi wird uns der wahre Sinn des Schöpfungsberichtes im Buche Genesis offenbar. Wir werden erkennen, daß sich an der wahren Lehre Heil oder Unheil des Menschen entscheidet.
Das Ereignis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus vollzieht sich in der Begegnung mit den Menschen in vollkommener Freiheit. Wenn Jesus Christus sagt: „Wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (Mt 10,40), besagt dies ganz klar, daß Gott den Menschen nicht zu sich zwingt, sondern daß ER sich in die Geschichte des Menschen einläßt, um sich in Freiheit von den Menschen aufnehmen zu lassen. Gerade durch die Gabe der Freiheit konnte sich der Mensch als „nach dem Bilde Gottes geschaffen“ (Gen 1,26), als im Ursprung seines Wesens in Gott gegründet und deshalb einzig IHM gehorsam erkennen. Doch ließ sich das erste Menschenpaar von Luzifer, der bereits seine Freiheit durch Stolz in radikalster Form der Selbstergriffenheit verwirkt hatte, verführen, sich ebenfalls gegen Gott zu erheben (Gen 3,1-7). Durch die Stolz-durchglühte „Lüfe Luzifers“ (Gen 3, ff) ließ der erste Mensch sich zum Ungehorsam verleiten und verwirkte damit seine in den Gehorsam überantwortete, von Gott durchwaltete, gnadenvolle Teilhabe an der wahren Freiheit (Gen 1,26-31 u. 3,15-17). Durch diesen Ungehorsam hat das erste Menschenpaar die unberührte, von Gott gegebene Gutheit seiner begnadeten Natur zutiefst verletzt und hat damit das ganze aus ihm hervorkommende Menschengeschlecht der Sterblichkeit unterworfen und dem Tod ausgeliefert. Fortan steht der Mensch unter der Herrschaft der „Erkenntnis von Gut und Böse“ und erfährt Freiheit unter dem Diktat der Selbstergriffenheit bzw. Selbst-Sucht (Gen 3,5). In dieser unseligen, von Gott nicht herbeigeführten neuen Seinsergriffenheit wird es dem Menschen unmöglich, aus eigener Kraft wieder zu unmittelbarer, begnadeter Gottes-Schau zu gelangen. So paradox es klingen mag, so müssen wir doch feststellen: Daß Freiheit in ihrer Vollkommenheit wahrhaft göttlichen Ursprungs ist (2 Kor 3,17), ist nicht zuletzt gerade an der machtvollen Möglichkeit der Auflehnung des ersten Menschenpaares gegen Gott deutlich zu erkennen. Wäre der Mensch nicht in höchstem Maße von Gott zur Freiheit berufen, so hätte er mit dem selbstverschuldeten Verlust der Gnade für alle Zeiten die ganze Kraft der Freiheit verloren und er vermöchte nichts mehr mit ihr zu bewirken. Welch unvorstellbare Größe, Reinheit, Vollkommenheit, ja Heiligkeit muß die Liebe Gottes mit Allmacht durchwalten, wenn sie den Menschen nach wie vor die Freiheit anvertraut (Röm 8,21).
Einst wandelte der Mensch im Paradies der Gottesnähe. Gott gab sich ihm in seiner alles durchdringenden Gutheit, in seiner alles durchwaltenden Macht der Liebe als Schöpfer allen Seins zu erkennen. Von Gutheit und Liebe umborgen sollte der Mensch in der Schöpfung herrschen. Mit dem Herrschen übertrug Gott ihm gnadenvolle Teilhabe an SEINER Freiheit. Da die Freiheit Gottes von nichts anderem als von Gutheit und Liebe durchwaltet ist, war das Angebot der Mitherrschaft durch Teilhabe an der göttlichen Freiheit wesensgemäß auch im Menschen an Gutheit und Liebe gebunden. Diese Eingebundenheit in die Liebe und Gutheit Gottes bedingte das Gebot des Gehorsams, welches den Menschen zur Freiheit in Form der Teilhabe berief. In dieser Berufung zur Freiheit in Form der Teilhabe war Gott dem Menschen nah. Doch mit der neuen Seinsergriffenheit des Menschen, in welche er sich durch Ungehorsam unter das Joch der Herrschaft der Erkenntnis von Gut und Böes gestellt hat, beraubte sich der Mensch der Gnade und wurde darin fortan Gott fern. Die Folge des die Freiheit mißbrauchenden menschlichen Ungehorsams gegenüber Gott hält den Menschen in geistiger Blindheit bei sich selbst gefangen. In dieser neuen Seinsergriffenheit vermag sich der Mensch aufgrund seines göttlichen Ursprungs zwar noch nach einer Gottesnähe zu sehnen, doch wird er sich niemals aus dieser Gott-fernen Seinsergriffenheit mit eigener Kraft befreien können.
Obwohl die geistige Blindheit durch Ungehorsam des Menschen in die Welt kam, eilt die Liebe Gottes dem Menschen schon von Anfang an „Adam wo bist du“ (Gen 3,8 ff) und immer wieder durch seine Worte entgegen, bis er ihm zur Überwindung des Ungehorsams die Gnade des Glaubens in Maria ganz auffaltete. Was bedeutet das, daß Gott in Maria, einer Jungfrau aus Nazaret, die Gnade des Glaubens ganz auffaltete? War diese Frau geistig so blind, daß sie einfältigen Herzens Unmögliches für möglich hielt? Als der Engel Gabriel bei ihr mit dem Gruß, sie sei „voll der Gnade, der Herr ist mit Dir“ (Lk 1,28) eintrat und ihr, der Jungfrau, verkündete: sie werde empfangen, obwohl sie keinen Mann erkannte (d.h. nicht geschlechtlich mit einem Mann vereint war), sie werde einen Sohn gebären, dem sie den Namen Jesus geben solle, sagte Maria ganz klar: „wie soll das geschehen“ (LKk 1, 26-38)! Sie war also keineswegs geistig blind. Als der Engel ihr daraufhin antwortete „Heiliger Geist wird über dich kommen, die Kraft des Höchsten wird dich überschatten, darum wird auch das Heilige, das aus deinem Schoß hervorgeht, Sohn Gottes heißen,…denn kein Wort von Seiten Gottes wird kraftlos sein“ (Lk 1,25-37), erst daraufhin bekannte Maria: „Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38). Was befähigte Maria, daß sie dem an sich Menschen-Unmöglichen zustimmen und ihr Jawort geben konnte? Es war die Kraft ihres Glaubens, wie es schon bei Abraham, vielen Propheten und anderen Menschen die Kraft des Glaubens war, Gottes Wort anzunehmen. Wie gelangt der Mensch zu solcher Glaubens-Kraft?
Von Seiten des Menschen bedarf es einer Offenheit, einer Bereitschaft, die dem Sein nach wie vor einwohnende prinzipielle Gutheit anzunehmen. Allein durch das Gute können dem Menschen die Augen für die Wahrheit wieder geöffnet werden. Maria selbst war in einer Weise gut, wie noch kein Mensch vor ihr und auch nach ihr, sonst wären ihr nicht so wirkmächtig die Augen für das Erkennen der vollkommenen Gutheit des Wortes Gottes geöffnet worden. Der Gruß des Engels, daß sie „voll der Gnade und der Herr mit ihr sei“, gibt uns den Hinweis, daß bei der Zeugung Mariens die Gnade Gottes bereits am Werk war, indem Gott Maria von der Erblast der stammelterlichen Ursünde befreite, um sie sich als makellose Reine für seinen Weg der Erlösung der Menschheit bereit zu halten. Die Gutheit Gottes bereitete sich über die von IHM begnadete Gutheit Mariens einen Weg, damit sich auf ihm die Gutheit seines ewigen Wortes für die Menschen aller Zeiten neu erschließe.
Wenn der Mensch bereit ist, die prinzipielle Gutheit, das heißt, die Gutheit der Seiendheit an sich anzunehmen, dann hält er sich für die Gnade bereit. Gott selbst ist in SEINER vollkommenen Liebe die Ursache der allem Sein einwohnenden Gutheit. Gott allein durchmißt sie für alle Zeit in Ewigkeit. Er allein kennt die unendliche Fülle und Ordnung der dem Sein einwohnenden Gutheit, durchströmt sie mit Gnade in SEINER Liebe und bestimmt dafür die Zeit. Es ist ein Geheimnis seiner Allmacht, diese Zeiten nicht nur allwissend zu umbergen, sondern auch allmächtig zu durchwirken. Für den Menschen gilt es daher, sich im Erkennen und Anerkennen der Seins-Gutheit bereit zu machen. Einzig im Erkennen der dem Schein einwohnenden Gutheit wird der Mensch sich vertrauensvoll überantworten, das heißt sich von seiner Seite aus glaubend einem je anderen überlassen, denn nur das Gute wird den Menschen in seiner eigenen Seinsergriffenheit nicht vernichten, sondern zur Vollendung führen.
Maria konnte aufgrund ihrer begnadeten Reinheit, in ihrer begnadeten Gutheit keinen prinzipiellen Zweifel an der Gutheit dessen haben, was der Engel ihr als Wort Gottes kund tat, daher glaubte sie. Da sie aufgrund ihrer Begnadetheit keinen prinzipiellen Zweifel an der Gutheit hatte, kam es in Maria zu einem Gleichklang mit der dem Wort Gottes einwohnenden Gutheit. Mit dem Wort „Gleichklang“ soll das Gemeinsame des je an sich Verschiedenen hervorgehoben werden. Das heißt: Gott ist von seinen Geschöpfen unendlich verschieden, doch wohnt allem von IHM Geschaffenen das Prinzio SEINER Gutheit ein. Da die vollkommene Gutheit Gottes ihre eigene Wirkweise und Wesenheit niemals verwirft, west in der SEINEN Geschöpfen und SEINER Schöpfung einwohnenden Gutheit etwas unwiderruflich gemeinsam Verbindendes. In dieser Gutheit ereignete und ereignet sich die sich entäußernde, mitteilende Liebe Gottes. In ihr ließ sich der Heilige Geist auf Maria nieder. Die sich entäußernde Liebe ist eine Wirkweise der Gnade Gottes. Sie schenkt sich wirkmächtig, verlustlos entäußernd, da in Gott nichts west, was seine eigene Vollkommenheit verwirkt. In dieser sich verlustlos entäußernden Liebe wird das Wort Gottes durch die Wirkmacht des Heiligen Geistes Fleisch, wie es uns der Prolog des Johannes offenbart: „Und das Wort ist Fleisch geworden“ (Jh. 1,14). Maria glaubte im Gleichklang der Gutheit voll der Gnade an die Gutheit des Wortes Gottes und erfuhr im Ereignis der Geburt Jesu, daß das Wort Gottes, wie der Engel gesagt hatte, nicht kraftlos ist, sondern die Kraft hat,das Sein gestaltgebend zu durchdringen. Ein Kind – der Sohn Gottes – wurde geboren, dem sie, wie der Engel gesagt, den Namen Jesus gab.
Die Gnade des Glaubens ist primär ein Geschenk Gottes, als Akt SEINER sich dem Sein einverwandelnden Liebe. Diese Glaubens-Gnade bedarf für ihre Auffaltung im Menschen der freiheitlichen Zustimmung des von Gott zur Freiheit berufenen Menschen. Gerade im Erkennen und Anerkennen der Gutheit stimmt die Glaubens-Gnade in die Liebe Gottes ein und wird darin wesensgemäß ein Akt des Gehorsams, „siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38). Gehorsam ist nichts anderes als ein Hören und ein mit freiem Willen Anerkennen und Annehmen des Gehörten.
In seiner geistigen Blindheit bewegt sich der Mensch sterbend auf den Tod zu, auf jenen unausweichlichen Abbruch seines Lebens. Der Tod schließt nicht nur die sterblichen Augen des Menschen, sondern er stellt den Menschen gleichzeitig auf den äußersten Punkt der Blindheit und eröffnet ihm damit die bange Frage: werden wir einst Sehende sein oder nicht? Mitten in dieses Existenzdrama hinein ereignet sich die Geburt Jesu Christi aus der Jungfrau Maria und offenbart sich uns als der eingeborene Sohn Gottes, als „Weg, Wahrheit und Leben“ (Jh 14,6). Jesus Christus verheißt uns ewiges Leben, wenn wir uns durch die Gnade Gottes im Gehorsam des Glaubens von SEINEM Wort, von SEINEM Tun leiten lassen (Joh 10,28). Unzählige Stellen der Hl. Schrift geben davon Zeugnis. Doch das Entscheidende für unsere geistige Blindheit und Sterbensnot ereignet sich am Kreuz durch den vollkommenen Gehorsam Jesu gegenüber dem Willen seines Vaters (Phil 2,8). In diesem vollkommenen Gehorsam Jesu am Kreuz übergibt sich der Sohn Gottes ganz dem Willen des Vaters (Lk 22,42). ER selbst wird damit zum wirkmächtigen Garant des Gehorsams. So soll auch der Mensch, dem Willen Gottes gehorsam, sich nicht seiner Berufung zum ewigen Heil verschließen, sondern auf dem Weg des Gehorsams die Übereinkunft von Gnade und Glaube bei Gott erflehen, um durch ihre heilsmächtige Wirkweise einen endgültigen Zutritt zur Erkenntnis des Mysteriums Gottes zu erlangen. Die Hl. Schriften fallen aus in vielfältiger Weise die tiefen Zusammenhänge zwischen Gehorsam, Gnade und Glaube auf. Im entscheidensten menschheitsgeschichtlichen Augenblick jedoch bündelt Gott selbst den Gehorsam für uns in seinem Sohn am Kreuz, um sich mit uns durch SEINE Gnade im Glauben an IHN zu versöhnen, damit auch wir, im Gehorsam zur wahren Freiheit befreit, zur vollen Erkenntnis der Wahrheit gelangen (Joh 8,32, Eph 3,19, 1 Tim 2,4). Die Schriften des heiligen Paulus sind ein grandioses Zeugnis und Bekenntnis der Befreiung aus der Sklaverei der Sünde zu wahrer Freiheit, von Gott berufen, durch den Heiligen Geist in Jesus Christus vollbracht.
Das heilsgeschichtliche Handeln Gottes orientiert sich in höchstem Maße an der freiheitlichen Gehorsamsbereitschaft des Menschen, um ihn aus der Not seiner erkenntnismäßigen Enge und Blindheit durch den Glauben gnadenreich in das Mysterium der göttlichen Dreifaltigkeit, in die Wahrheit des einen Gottes heimzuführen.
Doch halten wir an dieser Stelle unserer Überlegungen inne und wenden unsere Gedanken über die Seinsergriffenheit des Menschen der sich in Worte prägenden Sprachmächtigkeit zu. Da die Seinsergriffenheit des Menschen sich in Ereignishaftigkeiten abspielt, sind alle Artikulationsmöglichkeiten des Menschen nichts anderes als der Versuch einer Bestätigung der jeweiligen Ereignishaftigkeit durch Worte. Worte gewinnen ihre eigentliche Prägung aus Ereignissen. In Worten hebt der Mensch Ereignishaftigkeiten ins Geistige, in die anerkennende Bestätigung des Wirklichen. Worte entfalten dabei im Bewußtsein eine ganz eigene Ereignis-sphäre, nicht nur weil sie auf dem Wege der Mitteilung eine Lawine von Betroffenheiten auszulösen vermögen, sondern vor allem, weil Worte eine Vermittlerrolle für geistige Einsichten und Erkenntnisvorgänge übernehmen. Daher sprach ich im Zusammenhang mit der Seinsergriffenheit von einer sich in Worten prägenden Sprachmächtigkeit des Menschen. Tatsächlich sucht sich die Seinsergriffenheit des Menschen mit Hilfe der Wortsprache eine adäquate Ausdrucksmöglichkeit, um Seins-Wirklichkeiten erkenntnismäßig mitzuteilen. Die Wortsprache ist kein in sich isoliertes Ausdrucksphänomen, sie ist tief Ereignis-bezogen und hat viele Beziehungen zu anderen Ausdrucks-Möglichkeiten: um nur einige zu nennen, seien hier beispielhaft die Klangsprache, Bildsprache, Gebärdensprache, Zeichensprache genannt. All diese Ausdrucksmöglichkeiten (Klang, Bild, Gebärdensprache, Zeichensprache genannt. Alle diese Ausdrucksmöglichkeiten (Klang, Bild, Gebärde, Zeichen) kulminieren sich in der Wortsprache und dienen der besonderen Heraushebung von Wirklichkeiten, welche sich durch Worte vermitteln sollen. Je mehr der Mensch Erkenntnisakte mit Hilfe von Worten zu vermitteln sucht, desto mehr versucht er, aus dem weitgefächerten Ausdrucksspektrum Eindeutigkeiten herauszufiltern, die sich jedoch auf dem Weg der Mitteilung im Verständnis anderer Menschen durchaus nicht einheitlich vermitteln, sondern sich jeweils im eigenständigen Ausdrucksspektrum des anderen neu zu definieren. Es würde zu weit führen, tiefer in die Problematik der Wortsprache einzudringen; doch wir ahnen schon, daß die Wortsprache ein Geistesgeflecht vielschichtigster Ereignisbeziehungen ist. Sehr verallgemeinernd läßt sich sagen, daß sich in jedem Wort zumindest ein Ereignis ausschwingt und sich im Sinne einer Mitteilung einem anderen Menschen zu vermitteln sucht. Mit Hilfe dieser Wort-Mitteilungen drängt es den Menschen, auf geistigem Wege eine größtmögliche Übereinstimmung mit dem jeweils auszudrückenden Ereignis zu finden.
Günstigstenfalls vermitteln Worte einen geistigen Gleichklang mit dem jeweils auszudrückenden Ereignis. Wobei mit dem Wort „Gleichklang“, wie bereits gesagt, das Gemeinsame des je an sich Verschiedenen hervorgehoben werden soll. Auf diesem Gedankenhintergrund gibt es wohl kaum ein Wort, welches in seinem Ausdrucks-Anspruch – ein Gleichklang mit einem Ereignis zu sein – von zentralerer Bedeutung ist als das Wort „Liebe“. Dieses Wort ist wie ein Schlüssel, es öffnet uns im Erkennen geistig den Raum zum Du, um sich in ihm (diesem „Du“) wiederum ereignen zu lassen. Das „Ich“ und das „Du“ fallen in diesem Wort „Liebe“ in eins – „Ich liebe Dich“ – und drängen auf Erfüllung im Ereignis. Somit drückt das Wort Liebe das Ereignis gegenseitiger Durchdringung von Ich und Du aus. Diese gegenseitige Durchdringung ist kein Akt der Vereinnahmung, sondern ein Akt der Gutheißung, ein Akt der Bejahung des anderen im Erkennen und An-Erkennen der Einzigartigkeit und Gutheit seines Daseins. In diesem sich gegenseitigen Erkennen bewegt sich das Geheimnis der sich mitteilenden Liebe und öffnet den Blick auf die jeweilige Einzigartigkeit seines Personseins. Wir alle wissen, daß Liebe als Ereignis in der gegenseitigen Durchdringung von „Du und ich“ schöpferische Potenz freisetzt, indem aus dieser höchstmöglichen – bis in die Leiblichkeit eindringenden – Einigung von Du und Ich der neue, je einzigartige Mensch, als Person, als eine Einheit von Geist und Leib gezeugt und geboren wird. Ursache für die schöpferische Potenz der Liebe ist die dem Sein einwohnende Gutheit. Die vollkommene Gutheit ist die eigentliche Lebensglut der Liebe, sie ereignet sich wirkmächtig in absoluter Freiheit, durch ewige Selbsthingabe, einzig in der Dreifaltigkeit Gottes als ewiger, vollkommener Gleichklang – aus dem Vater im Sohn durch den Heiligen Geist. Aus dieser sich im dreifaltigen Gott ereignenden Liebe trat Gott in vollkommener Freiheit schöpferisch hervor und schuf die Welt und alles, was in ihr west. Der aus vollkommener Gutheit und Freiheit in Vollkommenheit liebende Gott offenbart dem Menschen in SEINEM Schöpfungs-Werk und -Wirken SEINE Allmacht. Der ganzen Schöpfung ist das Siegel SEINER Liebe und Gutheit als wirkmächtige Wahrheit eingeprägt. Daher vermag der Mensch, Gott mit dem Lichte der natürlichen Vernunft zu erkennen.
Liebe und Wahrheit lassen sich in Gott in ihrer ursprunghaften Gutheit nicht voneinander trennen. Für den Gott-abtrünnigen Menschen sind Liebe und Wahrheit jene Kräfte, die ihn zur Überwindung jeglichen Freiheitsmißbrauches, zur Überwindung jeglicher zerstörerischen Willensakte, der Auflehnung, des Haßes auffordern. Daher soll der Mensch Gott „im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh 4.23), weil sich in ihnen die vollkommene Liebe und Gutheit Gottes als tiefster Grund der Seinsberufung des Menschen offenbart (Joh 15,9).
Dieser der Liebe und Gutheit Gottes entspringende tiefste Grund menschlicher Seins-Berufung durchatmet von Anfang an die Seele des Menschen. Sie blieb trotz des Sündenfalls seiner irdischen Natur einbehalten. Im Ursprung von Gott gehaucht ruhte die menschliche Seele einst als ewiger Lebensatem in Gott (Gen 2,7). Seit der unseligen Auflehnung in Freiheit durch Un-Gehorsam gegen Gott verwirkte der Mensch zwar seine unmittelbare und mit ihr seine überirdisch beseelte, gnadenvolle Gottesbindung, doch erinnert ihn die Seele mit ihrem von Gott gehauchten ewigen Lebensatem fortan an die ursprünglich aus Gott gründende Gutheit seiner Geschöpflichkeit. „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war (im Blick auf den Menschen sogar) sehr gut“ (Gen 1,31).
Obgleich in Folge der stammelterlichen Ur-Auflehnung die gesamte Schöpfung, ihre Geschöpfe und das Menschengeschlecht in seiner Leiblichkeit vergänglichen Zeiten unterworfen wurden (Röm 8,20 f), werden sie niemals auf Grund der Seinshaftigkeit ihren ursprünglichen Gleichklang aus der in Gott gründenden Gutheit gänzlich preisgeben können, da es nichts gibt, was die Schöpfung aus ihrer von Gott gegebenen Seinshaftigkeit entläßt. Nicht einmal das durch die Auflehnung mächtig werdende, zerstörerisch wirkende, sich an der Seinshaftigkeit austobende Böse vermag diesen prinzipiellen Gleichklang gottgegebener Gutheit – seine Seinshaftigkeit an sich – vollkommen auszulöschen, denn das Böse selbst raubt stets seine Macht aus dieser Seinshaftigkeit, indem Geschöpfe sich willentlich gegen die der Schöpfung einwohnende Ordnung der Gutheit auflehnen. Einst wird Gott darüber richten, in welchem Zustand der Seinshaftigkeit der Mensch bei der endgültigen Vollendung des neuen Himmels, der neuen Erde steht. Ob in beseligender, von „Angesicht zu Angesicht“ (1 Kor 13,12), ewiger Gottesschau oder in qualvoll ewiger Gottesferne (Spr 15,29, Apk 20,10). Doch denken wir nun weiter über die Wesensmerkmale der neuen Seinsergriffenheit des Menschen.
Die aus göttlicher Gutheit mit ewigem Leben behauchte Seele belebt den Geist und Leib des Menschen, so daß sich trotz der verschiedenen Wirkweisen von Geist, Seele und Leib durch ihre gemeinsam in Gott gründende Gutheit ein Gleichklang bildet. Wir erkennen zurecht die Geist-Seele als eine aus der Gutheit gewirkte Einheit mit dem Leib. Doch allein der Geist vermag zu erkennen, daß er in diesem Gleichklang mit der Seele in die sterbliche Leib-Natur des Menschen eingefaltet ist. Das heißt: die Geist-Seele vermag sich nicht weiter aufzufalten, als es ihre Eingefaltetheit in die sterbliche Leib-Natur zuläßt. Weil die Geist-Seele jedoch aus der Gutheit des ewigen Lebens-Atems Gottes gewirkt ist, drängt sie sein Sehnen nach ihrer ursprünglich, begnadeten Gewirktheit, das heißt: sie sehnt sich nach jenem Urzustand, einzig-ewiger in Gott eingeborgener wahrer Freiheit. Das von Ewigkeit bedrängte Sehnen der Geist-Seele gleicht einem in die sterbliche Natur eingepflanzten Magneten, der wie ein Kompaß auf einen Pol verweist, damit der Mensch sich zu orientieren vermag. Der Pol, auf den das Sehnen der Geist-Seele verweist, ist die aus Gott gründende, zu wahrer Freiheit befähigende Ewigkeits-Bestimmtheit des ganzen Menschen. Das Sehnen der Geist-Seele ist daher unendlich kostbar, weil es den Menschen an seine Urbestimmung gemahnt. Dieses Sehnen ist aber auch äußerst gefährdet, denn allzuleicht kann es von den Bedrängnissen der sterblichen Natur einbehalten werden. Sobald der Mensch sich mit seinem Sehnen ausschließlich an die sterbliche Natur preis gibt, ertrinkt er in einem Meer sterblicher Bedürfnisse, die es zu befriedigen gilt. Je mehr der Mensch sich diesen Bedürfnissen hingibt oder sich ihnen gar ganz überläßt, wird die Urkraft des Ewigekeits-durchtränkten Sehnens durch das Diktat der Bedürfnis-Befriedigung blockiert. Schlimmstenfalls kann der Mensch die Urkraft des Sehnens soweit mißbrauchen, daß er nur noch in der Sucht nach Befriedigung an der sterblichen Natur in Sehn-Süchten dahinvegetiert. Nicht nur umgangssprachlich hat das Wort Sehn-Sucht das Wort Sehnen bereits überlagert und ist dies nicht ohne Grund: ist doch der Mensch in seiner sterblichen Natur, auch und gerade mit seinem Willen, äußerst geschwächt und gibt sich in seinem Stolz lieber der Ohnmacht der sterblichen Natur hin, als sich in und mit der Kraft des Sehnens den Grund seiner Ohnmacht vor Gott und den Menschen einzugestehen.
Der Mensch erkennt Freiheit als eine wesentliche Grundbedingung seiner Seinsergriffenheit. Kraft seines Willens versucht sich der Mensch in absoluter Freiheit zu bewegen, wobei der Wille die Kraft zur Durchsetzung der Freiheit ist, in welcher die Macht der Willens-Freiheit zum Ausdruck kommt. Durch die einstige absolute Auflehnung gegen Gott im Paradies wurde sich der Mensch erstmals der Macht seiner Willens-Freiheit gewahr. Dem Menschen wurden die Augen für die Erkenntnis von „Gut und Böse“ geöffnet. Gleichzeitig begann er sich zu fürchten und ahnte damit, daß seine Auflehnung gegen Gott eine böse Tat war. Ihm wurde bewußt, daß er seine begnadete, übernatürliche Gottesnähe verwirkt hatte. Diese verlorene Gottesnähe ließ ihn erkennen, daß er nackt war (Gen 3 ff).
Indem der Mensch die Freiheit seinem eigenen Willen unterwarf, lehnte er sich im Un-Gehorsam gegen die begnadete Teilhabe an der wahren Freiheit auf, welche ihm durch den in vollkommener Liebe und Gutheit durchwalteten Willen Gottes zugedacht war. Durch das Böse brach der Mensch die in der Gutheit gründende Macht der Willens-Freiheit. Fortan ist die menschliche Willens-Freiheit geschwächt und wird im Kampf um die Herrschaft von Gut und Böse aufgerieben. Immer wieder versucht der Mensch, sich gegen seine Willensschwäche aufzulehnen, indem er sich erneut durch Stolz über die Freiheit zu erheben sucht. Im Stolz erhebt sich der Mensch nach wie vor selbst zur höchsten, einzigen Instanz, zum Herrscher über alles und jeden und bemerkt dabei nicht, daß er mit seinem geschwächten Willen den der Freiheit einwohnenden Absolutheitsanspruch durch Unterwerfung der Schöpfung und ihrer Geschöpfe stets aufs Neue mißbraucht. Indem die Menschen den Absolutheitsanspruch der Freiheit durch Stolz mißbrauchen, richten sie die Schöpfung, sich selbst und sich gegenseitig zugrunde.
Dieser Freiheitsmißbrauch steht in krassestem Widerspruch zum ewigkeitsdurchtränkten Sehnen der Geist-Seele nach wahrer Freiheit. Die sich sehnende Geist-Seele wiß um die Tragik der durch Schuld verloren gegangenen Teilhabe, welche dem Menschen durch die vollkommene Liebe und Gutheit Gottes in wahrer Freiheit geschenkt war. Dieses sich nach wahrer Freiheit und vollständiger Gutheit sehnende Wissen der Geist-Seele gemahnt den Menschen an seine ursprüngliche Seinsberufung. Das im Sehnen der Geist-Seele einbehaltene Wissen um die vollständige Gutheit der ursprünglichen Seinsberufung legt im Menschen das Gewissen an als ein feinsinniges Sensorium für die Wahrnehmung eigener Schuld bei erneuten Freiheitsmißbräuchen.
Dieses wissende Sehnen der Geist-Seele vermag einerseits die Willensschwäche zu stärken, das Gute anzustreben, andererseits vermag es den Willen über das Gewissen mahnend anzuregen, sich nicht dem Stolz zu überlassen, sondern sich im Gleichklang mit der sehnenden Geist-Seele der ursprünglichen Seinsberufung anzuvertrauen.
Fassen wir also nochmals zusammen: durch die Geist-Seele erkennt der Mensch einerseits die verheerenden Folgen der in wahrer Freiheit von seinen Stammeltern verschuldeten Not; er erkennt deren Erblast mit seiner in die Sterblichkeit eingefalteten Natur und erkennt die notvolle Tragik der mit der ganzen Schöpfung global verbundenen Seinsergriffenheit. Andererseits hält das ewigkeitsbehauchte Sehnen der Geist-Seele trotz der sterblichen Eingefaltetheit die notvolle Seinsergriffenheit zum Ewigen hin offen. In diesem zum Ewigen Geöffnet-sein hat das über das Vergängliche hinausstrebende Hoffen der Menschen seine natürlichen Wurzeln. Das Sehnen der Geist-Seele vermag das Tor der Hoffnung zu öffnen. Hoffnung ist eine der ewigkeitsdurchtränkten Geist-Seele wesensgemäße Kraft. Als prinzipiell auf die Gutheit des Seins ausgerichtet, ist sie eine Leben-erhalten-wollende Kraft. Sie läßt den Menschen in seiner Sterbens-Nor nach der Existenz einer dem Sein übergeordneten Macht Ausschau halten, einer Macht, die das Gute des Lebens erhält. Doch wird auch die Hoffnung ihren in der sterblichen Natur einbehaltenen Blick an die Ewigkeit verlieren, wenn sie sich nicht in der Wahrheit wiedererkennt.
Allein der einzig wahre Gott vermag diesen sich in der Ewigkeit verlierenden Blick der sich sehnenden Geist-Seele des Menschen in der Hoffnung einzubehalten. SEINE göttliche, sich aus vollkommener Gutheit ewig verströmende Liebe, gibt der das Gute des Lebens erhalten wollenden Hoffnung der Menschen den wahren Grund und das absolute Ziel. ER allein wird der sich nach IHM sehnenden Geisst-Seele für den ganzen Menschen den ewigen Raum öffnen, indem er sich unserer Hoffnungen in unendlicher Liebe erbarmt. Einzig SEINE vollkommene Gutheit vermag ewig liebend unsere Not in ihren tiefsten Abgründen zu durchleiden.
Schauen wir nur auf SEINEN Sohn am Kreuz, auf das größte Mysterium göttlicher Liebe: für unsere Schuld gab Gott SEINEN eingeborenen Sohn dahin, damit er uns aus den Fängen des Todes durch SEINE siegreiche Auferstehung für immer befreit. Gott will, daß wir das Leben haben und daß wir es in Fülle haben (Joh 10,10). Welch machtvolle Wende unserer Not, welch ein Grund, einzig und ohne Unterlaß zu IHM zu beten! Wenn wir bedenken, daß die Jünger Jesu als gläubige Juden mit dem Beten vertraut waren, ist es bemerkenswert, daß sie sich an Jesus wenden mit der Bitte „Herr, lehre uns beten“ (Lk 11,1). Offenkundig erkannten sie schon sehr frühzeitig, daß ihr bisheriges Gebet zu Jahwe oder das Gebet, welches Johannes der Täufer lehrte, noch nicht die ganze Dimension der Heilszuwendung Gottes erfaßt hat, daß diese wirkmächtige Dimension nur durch Jesus Christus selbst erschlossen wird. Mit dieser an JESUS gewendeten Bitte der Jünger „Herr, lehre und beten“ entscheidet sich auch für uns Christen, ob unser Beten nicht nur ein „Plappern“ wie das der Heiden ist (Mt 5,7). Damit wir davor bewahrt werden, eilt uns Gottes Liebe durch den Heiligen Geist in der Gnade entgegen, indem er uns wirkmächtig, im Sakrament der Taufe auf SEINEN dreifaltigen Namen von der stammelterlichen Erblast befreit (Mt 3,11). Doch wird diese Gnade sich wiederum aufgrund der Freiheit nur mit unserer gelebten, das heißt: „durch Wort und Tat bezeugten“ Glaubenszustimmung auch vollkommen auffalten. Wie viele Getaufte lassen das nicht zu, indem sie sich dem Wort Gottes verweigern, seine Wahrheit leugnen oder es sich selbst und den Menschen so zurechtbiegen, daß es nicht mehr SEIN Wort ist, von dem wir wissen, daß es gerade in seiner sakramentalen Durchdringung eine ganz andere Wirkmacht hat als alle Worte die je in der Menschheitsgeschichte gesprochen wurden. Sofern sie noch beten, mag es nicht verwundern, daß es nicht jene Früchte trägt, an welchen die Liebe Gottes erkennbar wäre. Stattdessen wird der Mensch sich selbst zum Ärgernis und droht in seinen eigenen, bisweilen maßlosen Lebensentwürfen und Wünschen letztlich angstvoll zu ertrinken. Lassen wir uns durch den Heiligen Geist führen, Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten, denn Gott will, daß wir, wenn wir mit Christus gestorben sind, auch teilhaben an seiner ewigen Verherrlichung als Mit-Erben Christi (Röm 8,17). Wenn wir schon Miterben der stammelterlichen Verbannung aus dem Paradies sein müssen, so will uns die unendliche Gutheit und Liebe Gottes darin nicht zugrunde gehen lassen, sondern in unvergleichlicher Weise zu endgültig ewiger Gottesnähe heimführen.
Lassen wir uns daher immer wieder vom Grund und Ziel unserer Hoffnung, von JESUS CHRISTUS selbst leiten, denn ER war in Gott als einziger Mittler vor aller Zeit vorherbestimmt, die Schöpfung mit allem, was in ihr west, zur wahren Vollendung zu führen. Durch das Schöpfungs- und Erlösungswerk Gottes sollen wir in der Erkenntnis des Glaubens gnadenvoll an das wunderbare Geheimnis der Liebe und Gutheit der Dreifaltigkeit des einen wahren Gottes herangeführt werden. Daher folgen wir einzig SEINEM Sohn nach, auf dessen Tod und Auferstehung wir wirkmächtig durch den Heiligen Geist getauft wurden, damit wir in SEINER Gnade gehalten, „als neue Menschen leben“ (Röm 6,3-4). Lassen wir uns mit unserem Sehnen von IHM zur wahren Freiheit erheben, die Gott in seinem Sohn JESUS CHRISTUS geoffenbart hat. ER selbst lehrt uns zu wem wir, wie wir und um was wir in Wahrheit beten sollen:
„VATER UNSER IM HIMMEL, GEHEILIGT WERDE DEIN NAME, DEIN REICH KOMME, DEIN WILLE GESCHEHE WIE IM HIMMEL SO AUF ERDEN – UNSER TÄGLICHES BROT GIB UNS HEUTE UND VERGIB UNS UNSERE SCHULD, WIE AUCH WIR VERGEBEN UNSEREN SCHULDIGEN UND FÜHRE UNS NICHT IN VERSUCHUNG SONDERN ERLÖSE UNS VON DEM BÖSEN. AMEN.“ (Mt 6,9-13).